Auf einem Bein kann man nicht stehen. Im Emsland kommt ein Kurzer selten allein. Zu vielen Anlässen gehören zwei, drei Schnäpse oder auch ein paar Likörchen dazu. Kein Wunder: Hier sitzt man an der Quelle. Drei große Brennereien haben das kleine Städtchen Haselünne weltberühmt gemacht.
Emsländer lieben ihre Schnäpse und Liköre

Hier kommt keiner zu kurz

An der Kaffeetafel gehört ein Likör vorm Kuchen selbst für die Oma dazu. Die Herren trinken seit jeher ihr Gedeck an der Theke mit Bier und Schnaps, die Jugend versucht sich an allerlei wechselnden bunten Likörmischungen. Wer nicht im Emsland geboren ist, wundert sich über die vielen Gelegenheiten, an denen der Emsländer die Pinnchen voll macht. Typische Traditionen wie das Kloatscheeten - der Gewinner gibt nach jeder Runde einen aus -, das Weggenwegbringen - an jeder Laterne und jeder Kurve wird einer getrunken -, das traditionellen Hahnholen am Tag nach der Hochzeit, wo früher sogar sogar das Federvieh einen flüssigen Korn bekam - oder das Kranzabtreten - pro Schritt ist einer fällig - sind ohne die obligatorischen Kurzen gar nicht denkbar.

Woher kommt das? Das Emsland war arm. Auch kulinarisch gesehen. Man aß, was der karge Boden hergab. Hopfen und Wein suchte man vergebenes. Aber Korn wuchs hier gut und das Wasser war von bester Qualität. Mitte des 18. Jahrhunderts brannten allein in Haselünne 17 Brennereien daraus Schnaps. Drei, Berentzen, Heydt und Rosche, gibt es auch heute noch.

In der „Hochburg des Kornbrennens in Deutschland” entsteht der Haselünner Korn, eine inzwischen eingetragene und damit geschützte geografische Angabe. Die erste Großbestellung wird auf Anfang des 16. Jahrhunderts datiert. Für eine Feier mit dem Bischof Erich von Osnabrück wurden enorme Mengen Branntwein in Haselünne eingekauft. Die Verzehrquittung erhielt 1524 das Zisterzienserkloster im nahegelegenenen Börstel. Schriftlich dokumentiert sind auch die Auswirkungen der neuen “Genussdroge” in den historischen Polizeiarchiven.

Zwischendurch war Schluss mit Schnaps

Schluss mit Schnaps war zwischendurch auch. Während der großen Hungersnöte im 17. Jahrhundert wurde das Korn fürs Brot dringender gebraucht, das Ausschenken zunächst besteuert und das Brennen später sogar verboten. Viele Brennereien fielen später dem großen Stadtbrand von 1849 zum Opfer. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich in Haselünne eine richtige Destillierkunst. 1898 wurde der Kornbrand "Berentzen vom Faß" als eine der ersten deutschen Spirituosen als Marke eingetragen. Den Korn aus dem hochwertigen Haselünner Quellwasser verfeinerten die Destillerien nun auch mit Wacholderbeeren oder Kümmel. Später kommt dazu, was die Botanik hergibt: Birnen, Äpfel, Pflaumen, Kräuter oder Blumen. 

Von der Schnapsideen zum Welterfolg

Genau diese “Panscherei” wird zum Erfolgsschlager. 1976 mischen die Brüder Hans und Friedrich Berentzen ihren Schnaps mit Apfelsaft. Der Apfelkorn, im Emsland kurz Appel genannt,  entwickelte sich zur erfolgreichsten Produktneueinführung im Spirituosenmarkt nach 1945 und machte das Unternehmen zum nationalen Anbieter von Spirituosen. Der milde süße Kurze wird für Generationen von Heranwachsenden zu dem Partygetränk schlechthin. Sogar Briten, Amerikaner und Japaner stoßen mit dem emsländischen Apfelschnaps an.

In "Fusellünne", wie man das Städtchen an der Hase landläufig nennt, sind die wichtigsten Arbeitgeber inzwischen in der Getränkeindustrie angesiedelt. Rund um den Jahrtausendwechsel stagniert das Geschäft mit den Spirituosen. Gefragter werden Produkte, die "handcraftet" sind oder regionale Bezüge haben. Ein ideales Umfeld für die Destillen im Emsland, die sich wieder vermehrt auf das traditionelle Handwerk konzentrieren und ihren Korn inzwischen in alten Wein-, Whisky oder Sherryfässern reifen lassen. Dadurch entstehen ganz neue Geschmacksrichtungen. Die feinen Destillate genießt man gepflegt und pur. Der “einfache Korn” wird vor allem auf Festen mit Cola, Sprite oder Regina, der typischen emsländischen roten Limonade, aufgegossen und als “Mische” verzehrt - teilweise sogar noch in eigenen Metergebinden, einem speziellen Holztablett.

Neben Obstbränden und Likören gibt es seit 2021 auch Gin aus dem Emsland. Den HOPE London Dry Gin produziert Rosche. Die familiengeführte Brennerei baut auch heute noch selbst ihr Korn an und setzt seit kurzem auf nachhaltige Mehrwegflaschensysteme. Die Brennerei Heydt hat den ersten Whisky aus dem Emsland entwickelt. Der „Kingfisher“ wanderte schon 2016 in amerikanische Weißeichenfässer, in dem einst Bourbon reifte. Nach zweieinhalb Jahren wechselte er in Sherry-Oloroso-Fässer aus dem spanischen Jerez. Trotz seiner 46 Prozent ist der Single Malt nach sieben Jahre Reife ein milder. Die ersten 200 Flaschen waren im Nu ausverkauft. 

Kaufen kann man die Spirituosen deutschlandweit, aber am besten in Haselünne in den Brennereien selbst und dort auch Besichtigungen, Seminare und Verköstigungen buchen. Die Gastfreundlichkeit, mit der die Korn- und Hansestadt Haselünne ihre Besucher empfängt, war bereits im Mittelalter berühmt. Die älteste Stadt im Emsland lädt alle zwei Jahre zum Korn- und Hansemarkt. Das riesige mittelalterliche Stadtfest wird in diesem Jahr vom 13. bis zum 15. September gefeiert.