Grün-weiße Fahnen wehen ab Ende April im Emsland. Dann herrscht für ein paar Tage Ausnahmezustand in den Gemeinden: Es ist Schützenfest.

Fast wie Karneval - nur grüner

Was dem Rheinländer sein Karneval, ist dem Emsländer sein Schützenfest. Von Ende April bis in den August hinein geht die Saison. Die Feste sind unterschiedlich lang. Im kleinen Wachendorf bei Lingen wird alles an einem einzigen Tag erledigt. Andernorts nimmt man sich für die Feierlichkeiten ein halbes Dutzend Tage Zeit. Jeder noch so kleine Ort leistet sich sein Fest des Jahres. In der Gemeinde Twist feiern ganze zehn Vereine Schützenfest. Was heißt das aber genau? Schießen - und Freunde treffen?

Im Grunde ja. Dazu gehören das Königsschießen, ein Schützenumzug, das Bier im Festzelt, manchmal kommen noch ein Kirmesrummel oder Winzerbuden hinzu. Jeder Verein hat seine eigene strenge Festfolge und manche auch gar schräge Traditionen. Was unbedingt dazugehört, ist wie im Karneval das Kostüm. Mit Jacke, Hut und Anstecknadeln (mehrere Dutzend kann sich ein fleißiger Schützenbruder im Laufe seines Vereinslebens verdienen) macht sich Mann auf zum Antreten. Ja, tatsächlich sind es nicht mehr nur Männer. Der Schützenverein Landegge bei Haren beispielsweise hat schon seit 1966 in seiner Vereinssatzung verankert, dass Frauen im Verein willkommen sind. Dennoch gab es bisher noch keine weibliche Schützin, die die Königswürde errang. Ein Königsschuss aus Frauenhand bleibt zurzeit noch die Ausnahme. 

Das größte Fest des Jahres

Zurück zur Uniform. Grün sind sie alle. Am Hut stecken eine Rosette oder Feder. Das trägt übrigens auch der Karnevalist an der Narrenkappe. Genauso wie die Uniformjacken. Die der Kölner Garden erinnern beispielsweise an die napoleonische Militärmode der Franzosen. Was beide Maskeraden gemeinsam haben, ist der Wille, in eine andere Haut zu schlüpfen. “Wenn mein Mann die grüne Jacke anzieht, dann bleibt der Verstand zu Hause in der Garderobe”, hört man die Ehefrauen kopfschüttelnd sagen. Dennoch oder gerade deswegen ist das Schützenfest generalstabsmäßig geplant. Auch über den Karneval sagt man, er sei eine viel zu ernste Sache, um ihn den Jecken zu überlassen. Deshalb der akribische Zeitplan. “Ernst und Schalk, Hierarchie und Anarchie, martialische Strenge und bacchantische Ausgelassenheit. Das macht ihren Reiz aus, so dass sie in praktisch allen Dörfern – und auch den Städten – als das größte Fest des Jahres überhaupt gefeiert werden. Hier kommen alle zusammen. Wer hier nicht dazu gehört, der gehört nicht dazu”, berichtete Theo Mönch Tegender. Der Journalist, Verleger und Medienmanager stammt aus der emsländischen Gemeinde Emsbüren und war Geschäftsführer der Katholischen Nachrichten-Agentur. Für einen 30-prozentigen Aufschlag verkaufte er einer jungen Frau einmal ein Zugticket von Berlin nach Köln. So dringend musste die Närrin nach Hause zum Karneval. Und auch im Emsland kommen die Kinder gern nach Hause, wenn die grün-weißen Fahnen in der Heimat wehen. 

Die Ursprünge des Schützenwesens liegen mindestens so tief im Dunkeln wie die des Karnevals”, schreibt der Journalist weiter, “Nach den mühseligen, entbehrungsreichen Wintermonaten und den Beschwerden der ersten Frühjahrsbestellung gönnte sich die Dorfgemeinschaft ein schönes Fest.” Entstanden sind die ersten Schützenvereine schon im Mittelalter. Die Idee einer Bürgerwehr wurde nach der 1848er Revolution nochmal angefeuert.

Der eigentliche Anlass eines Schützenfestes ist das Schieß-Ritual. In den meisten Fällen wird auf einen unechten Vogel geschossen, um einen imaginären König zu ermitteln. Am Ende einer etwa 20 Meter hohen Stange wartet der hölzerne Freund auf sein Schicksal. Nicht selten sind mehrere Hundert Ladungen Schrot notwendig, um den Vogel von der Stange zu holen. Die Schusswaffe steckt dabei auf der Lafette, einem Standfuß, der nur das Zielen im Bereich des Kugelfangs erlaubt. Meist fallen zuerst die Insignien wie Flügel, Kopf, Zepter, Reichsapfel und Stoß. Für jedes geschossene Holzteil gibt es oftmals einen eigenen Orden. Mit der Beherrschung eines Gewehrs hat der Wettbewerb im Grunde nichts zu tun. Wann der Vogel fällt, obliegt dem reinen Glück - sofern nicht geschummelt wird. In der heißen Phase des Schießens kühlen an der Theke alkoholische Getränke. Mit Spannung wird erwartet, wer die Regentschaft des Vereins übernimmt und auch wer künftig zum Hofstaat gehört. Anders als im Karneval sind das nicht Prinz, Jungfrau und Bauer, sondern König, Vizekönig und Gefolge. Nachbarn und Freunde tun sich hier zusammen. “Einer von uns” wird es dann werden.

Ist der Holz-Adler unten, erlebt der König ein dreifaches Hoch. Schultergeklopfe, Gratulationen und mindestens eine Lokalrunde. Dann muss es oft ganz schnell gehen. Die Damen brauchen nämlich Kleider. In den emsländischen Modehäusern hat man sich bereits auf derartige Notfälle eingestellt und direkt eine Schneiderin zur Hand, die in Windeseile Modelle passend umarbeitet. Schnell noch zum Friseur und dann heißt es wieder Antreten und sich proklamieren lassen. Die Öffentlichkeit will sehen, wer regiert. Wie im Rheinland beim Karneval gehört auch hier ein Umzug zum notwendigen Programm. 

Ganz billig ist der Spaß nicht für den Thron. Kleine vierstellige Summen sind schnell zusammen. Auf emsländischen Festen wird zugelangt. Zuhause bleibt alles stehen und liegen, die Kinder werden, wenn es geht, wegorganisiert, die Welt dreht sich unterm Festzelt. Da herrscht Ausnahmezustand. Wie im Karneval. 

Tipp für alle Gäste: Wer dem Thron gratulieren will, kommt niemals mit leeren Händen. Ein Flachgeschenk eignet sich genauso gut wie eine Flasche Wein. Oft darf man die auch direkt am Tisch gemeinsam mit den Würdenträgern verzehren. Na dann, Prost und Horrido!