Die Erdölförderung ist aus dem Emsland kaum wegzudenken, charakteristische Pferdekopfpumpen prägen vielerorts das Bild. Was die Förderung an Land betrifft, kann die Region durchaus als Texas Deutschlands bezeichnet werden. Ein Ortsbesuch in Twist.
Erdölförderung im Emsland

Hier ist Texas

Nur ein winziges Stück Feld und eine Hecke trennen die gemächlich nickende Pferdekopfpumpe am Rand der Verbindungsstraße zwischen Autobahn 31 und der Gemeinde Twist von einem Einfamilienhaus. An anderer Stelle steht eine der charakteristischen Pumpen eingezäunt direkt neben der Einfahrt zum Haus. Abstand scheint hier keine Rolle zu spielen. Das ist Alltag im Landkreis Emsland, der auch als Texas Deutschlands bezeichnet werden könnte. Zumindest was die Ölförderung an Land angeht. Das rund 106 Quadratkilometer große Gemeindegebiet von Twist, nicht weit von der niederländischen Grenze entfernt, ist dabei so etwas wie das Herzstück.

Schwarze Masse im Glas

Bis zur Auffindung des Feldes Mittelplate vor der Küste Schleswig-Holsteins, heute die einzige Offshore-Förderung in Deutschland, galt das Ölfeld Rühle als größte Erdöllagerstätte der Bundesrepublik. Aus insgesamt 122 Bohrungen wurden hier im vergangenen Jahr rund 130.000 Tonnen Erdöl an die Oberfläche gepumpt. Das macht im Schnitt 1033 Tonnen pro Bohrung. „Die Förderung ist also längst nicht so ergiebig wie in Texas“, sagt Rudi Gaidosch mit einem Augenzwinkern. Im Permian-Basin-Ölfeld, das als Epizentrum der Öl- und Gasförderung in den USA gilt, liegt die Fördermenge der US-Statistikbehörde zufolge bei mehr als 4,6 Millionen Barrel Rohöl – pro Tag. Ein Barrel sind dabei 159 Liter.

Gaidosch leitet ehrenamtlich das Erdöl-Erdgas-Museum Twist. Aus der Vitrine nimmt er ein Glasgefäß und schraubt es auf. Sofort riecht es in unmittelbarer Nähe nach Tankstelle. Langsam kippt er das Gefäß von links nach rechts. Die schwarze Masse ist nicht flüssig, sondern zäh. „So sieht das Rohöl aus der Region aus“, sagt Gaidosch, schraubt den Deckel wieder zu und geht zu einem der vielen Schaubilder an der Wand.

Keine Entwicklung ohne Ölindustrie

Dort ist eine Bohrung nachgebaut. „Heißer Wasserdampf sorgt dafür, dass das Öl flüssig genug ist, um aus mehreren Hundert Meter Tiefe nach oben gepumpt zu werden“, erklärt der Museumsleiter. Damit räumt er auch mit einem Hollywood-Vorurteil auf: Anders als in manch altem Film zu sehen, werden die Reserven unter dem Gemeindegebiet niemals einfach so im Vorgarten wie eine Fontäne aus dem Boden schießen. Anders als die Stromgewinnung per Windrad ist die Ölförderung in der Bevölkerung im Emsland akzeptiert. Sie scheint in Symbiose zu geschehen. Rudi Gaidosch sieht einen Grund dafür auch in der Geschichte der Gemeinde. „Früher war hier alles ländliche Struktur. Ohne die Ölindustrie hätte es keine Entwicklung gegeben“, sagt der Museumsleiter und Lokalpolitiker.

Oder zumindest nicht so schnell. Seit den späten 1940er-Jahren wird im Ölfeld Rühle teils im Einklang mit dem Torfabbau Erdöl an die Oberfläche gebracht. Aus Sandwegen der Gemeinde wurden Straßen, die die damalige Wintershall AG als Betriebsstraßen für die Förderung brauchte. Arbeitskräfte wurden eingestellt, davon habe es damals genug gegeben, berichtet Gaidosch. Und so sei mit der Ölindustrie auch Geld in die Region gekommen. Das kommt auch heute noch, allerdings gibt es hier für Twist einen kleinen Wermutstropfen. Denn die Gemeinde profitiert weniger in Form von Gewerbesteuern als über die Löhne und Ausgaben der Mitarbeiter von Förderunternehmen und Unternehmen, die sich im Zusammenhang mit der Öl- und Gasindustrie angesiedelt haben. Gaidosch fasst es so zusammen: „Öl gibt es auf dem Twist reichlich, aber unsere Gemeinde hat den Nachteil, dass die Verwaltungen der heute hier tätigen Unternehmen nicht im Ort ansässig sind.“

Das Resultat: Die Gewerbesteuer fließt zum Beispiel nach Meppen, wo das Unternehmen Exxon Mobil, das heute unter anderem die Bohrungen im Ölfeld Rühle betreut, ebenfalls aktiv ist. Allerdings: Rühlermoor ist Exxon Mobil zufolge weiterhin das größte Ölfeld, das das Unternehmen in Deutschland betreibt. Könnte das Unternehmen angesichts der aktuellen Debatte um die Versorgungssicherheit in Deutschland noch mehr Öl in Twist fördern? Alte Pläne lassen das vermuten. 2013 teilte ExxonMobil zusammen mit Partner GDF Suez mit, in die Ausweitung der Förderung in Rühlermoor investieren zu wollen.

Ölförderung ist bundesweit rückläufig

Über eine Summe von bis zu 100 Millionen Euro wurde damals spekuliert. Die Planungen umfassten rund 140 neue Bohrungen, zusätzlich sollten 65 alte Bohrlöcher für den weiteren Betrieb aufbereitet werden. Damals lag der Preis je Barrel bei rund 105 US-Dollar. Aus dem Großprojekt jedoch wurde nichts. 2017 – der Ölpreis hatte eine Talfahrt hinter sich und lag bei nur noch rund 52 Dollar – wurde das vorläufige Aus verkündet.

In die Zukunft investiert wurde in den vergangenen Jahren trotzdem. Im Jahr 2019 wurden neue Hauptleitungen für mehr als zehn Millionen Euro in Betrieb genommen, in einer zweiten Erneuerungsphase investierte ExxonMobile weitere acht Millionen Euro in die Integrität des Leitungsnetzes. Auch neue Erkundungen hat das Förderunternehmen zusammen in Rühlermoor und Rühlertwist durchgeführt. Das Resultat: Es gibt noch unbekannte Stellen im Erdreich, wo sich Erdöl angesammelt hat. 2018 startete die Förderung. Weitere Bohrungen folgten. Immerhin werden noch rund 60 Millionen Tonnen Erdöl in den Steinformationen unter der Gemeinde Twist vermutet. Sicher ist das nicht. Die sicheren und wahrscheinlichen Reserven bundesweit wurden den Zahlen des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) zum Jahreswechsel auf insgesamt auf rund 22,9 Millionen Tonnen geschätzt. Und sie schwinden. Die Ölförderung ist bundesweit seit Jahrzehnten rückläufig.

Das Unternehmen Wintershall Dea, das unter anderem in Emlichheim in der Grafschaft Bentheim Öl aus dem Boden pumpt, rechnet beispielsweise vor: 2020 belief sich die gesamte Förderung der Wintershall Dea in Deutschland auf 45.000 Barrel Oil Equivalent pro Tag. Im vergangenen Jahr lag die Produktion hingegen nur bei 40.000 Barrel Oil Equivalent. Deutschland, so heißt es seitens Wintershall Dea, sei eine „mature Förderregion“. Soll heißen: Es wird überwiegend aus älteren Feldern gefördert, deren Ergiebigkeit über die Jahre schon deutlich nachgelassen hat.

44 Felder in Deutschland

Geht die Produktion zur Neige? Nicht zwangsläufig. Allerdings: Die Inbetriebnahme neuer Felder sei ein langwieriges Unterfangen. Zwischen Auffinden, Erschließung und Produktion könnten schon einmal bis zu zehn Jahre vergehen. „Eine zügige Aufstockung der heimischen Produktion ist daher eher nicht wahrscheinlich“, teilt ein Sprecher mit.

Dennoch gibt es, so Wintershall Dea, Potenzial, das bekannt ist und relativ schnell in Produktion gehen könnte – wenn der politische Wille da ist. Allerdings geht es dabei nicht um das Emsland, sondern um die Nordsee. „Der südliche Teil der Öllagerstätte Mittelplate, der von der laufenden Förderbewilligung nicht abgedeckt ist, ist so ein Bereich. Hier könnten wir bis 2041 weitere zwei Millionen Tonnen Erdöl in Schleswig-Holstein fördern und einen signifikanten zusätzlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten“, teilt das Unternehmen mit.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 1,8 Millionen Tonnen Öl aus 44 Feldern aus dem Boden geholt – rund zwei Prozent des gesamten heimischen Bedarfs. Das meiste davon stammt aus dem Feld Mittelplate vor der Westküste Schleswig-Holsteins. Auch das zweitförderstärkste Erdölfeld – Dieksand im Landkreis Dithmarschen – liegt im Norden. Insgesamt entfallen fast 1,1 Millionen Tonnen Erdöl auf Förderungen in Schleswig-Holstein.

Dass Niedersachsen und hier vor allem die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim dennoch so förderstark sind, ist der Summe der Felder geschuldet. Mit Emlichheim, Rühlermoor-Valendis, Bramberge, Georgsdorf, Scheerhorn/Adorf und Ringe liegen sechs der zehn produktionsstärksten Erdölfelder in der Region. Insgesamt kamen im vergangenen Jahr rund 563.000 Tonnen des schwarzen Goldes aus Niedersachsen. Die kleine Gemeinde Twist hat ihren Anteil daran. Und vielleicht werden die ursprünglichen Pläne im Ölfeld Rühle ja doch noch umgesetzt.