Wo Lingen liegt, musste Myriam Erath erstmal googlen. Inzwischen hat die Mönchengladbacherin hier studiert, geforscht und ein Unternehmen gegründet. Die Stadt an der Ems war dabei eine große Stütze.
Gründer wie Myriam Erath werden gefördert

Starthilfe für starke Ideen

Nach dem Abitur in Mönchengladbach beginnt Myriam Erath ein duales Studium bei der GEA Group in Herne. Für die Theorie schickt das Unternehmen die junge Frau ins Emsland. “Lingen ist geil”, versichern ihr die älteren Kollegen. “Noch nie was von gehört”, sagt Myriam Erath. Sie fragt Google: Wo ist eigentlich Lingen und landet prompt auf der gleichnamigen Website. Noch ist sie nicht gerade begeistert von der “Kaffstadt”. Aber Lingen überrascht sie. 

"Ich glaube, wir haben hier echt das beste Studentenwohnheim Deutschlands”, schwärmt sie. In den bunten Legohäusern gegenüber dem Campus findet sie eine günstige Wohnung - gut durchdacht, perfekt ausgebaut und bestens gepflegt. Zum Studieren muss sie nur über die Straße. Überhaupt ist die Fußläufigkeit, mit der sie in der Stadt alles erreichen kann, ein ungeheures Plus für die junge Studentin. Stadt, Kneipe, Campus, Freibad: Alles kann sie zu Fuß erreichen. Stau? Fehlanzeige. “Wenn ich überlege, wieviel Zeit ich sonst zuhause unterwegs war oder einfach gestanden habe im Verkehr, das ist hier schon sehr komfortabel.”

Und was sie im Laufe ihres Studiums noch feststellt: Sie kann hier zwei ihrer Leidenschaften verbinden, das Interesse für den Menschen und ihr Talent für Technik. Am Campus Lingen studiert sie nicht nur Ingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Mechatronik und entwickelt hier für GEA Steuerungselemente für Klimatechnik, sondern macht auch ihren Master in Technologieanalyse, -engineering und -management. Für diesen Master besucht sie auch das Lingener Institut für Theaterpädagogik, wo der Mensch ins Spiel kommt. Sie taucht ein in die “Theatrale Organisationsentwicklung". “Das Beste, was ich je gelernt habe”, versichert sie. Myriam Erath interessiert sich bereits ihr Leben lang für Informatik oder Elektrotechnik und erlebt in ihren jungen Jahren schon “krasse technische Sprünge”, wie sie sagt. Das ist aufregend. Aber sie ist kein Nerd. Genauso spannend findet sie nämlich, wie Menschen mit Technologien zurechtkommen und was diese Veränderungen mit ihnen machen. Wie erlebt ein Mitarbeiter beispielsweise den Einsatz neuer Techniken in seinem Alltag? 

Fünf Jahre lang forscht Myriam Erath am Campus genau daran. Als Mitarbeiterin eines Projekts der Europäischen Union will die 27-Jährige herausfinden: Wie steht es um die Akzeptanz von Technik? Wochenlang sitzt sie dabei zum Beispiel auf einem Mähdrescher und untersucht, ob der Einsatz von augmented reality-Technik (AR) dem Landwirt helfen kann, seine Riesenmaschine auf dem Feld zu manövrieren. Ergebnis: Nein. Er braucht Hilfe auf dem Weg dorthin. “Ich frage konkret, was wir damit machen, was sich die Superhirne im Silicon Valley ausgedacht haben”, erklärt die Ingenieurin. 

Zwischen Mensch und Maschine

Auf AR folgt KI. Das nächste Thema für Myriam Erath. Künstliche Intelligenz kann uns auf jeden Fall weiterhelfen, klar. Die Frage ist, wie sieht das in der Praxis aus? Als der Campus eine StartUp-Blockwoche zusammen mit dem Gründungszentrum Seedhouse aus Osnabrück veranstaltet, werden ihre Ideen konkret. In wenigen Tagen entwickelt die Lingenerin zusammen mit der Meppener Digitalagentur ncn Claraa, ein KI-basiertes Programm, das Unternehmen helfen soll, innerhalb ihrer Organisation Informationen zu suchen. Sie trommelt Programmierer zusammen und nutzt dafür auch ihr Netzwerk. Die Meppener Digitalagentur ncn kannte Myriam schon aus ihrem Forschungsprojekt. Auch sie beteiligen sich an dem Programmierer-Gipfeltreffen in Lingen. Zwei Tage und viele gekochte Mahlzeiten später ist der Hackathon vorbei. Die Computerspezialisten haben Myriams Aufgabe gelöst und ein Programm für sie entwickelt. 

Aus ihrer Idee wurde ein Prototyp. Das Projekt und ihr Programm überzeugen die Jury. Mehr als 46 andere. Myriam Erath gewinnt: Einen Arbeitsplatz im AnDock, dem Seedhouse-Ableger und Coworking Space der Stadt Lingen.

Inzwischen ist hier - in den Räumen des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerks - aus „Claraa“ „CWO“ geworden. Zusammen mit einem siebenköpfigen Team arbeitet Myriam Erath an Lösungen, die Arbeitsabläufe effizienter gestalten. “In den meisten Unternehmen kommen Bestellungen auf ganz unterschiedliche Weise an und jeder Mitarbeiter geht mit den Zetteln, Formularen, E-Mails oder PDF-Dateien unterschiedlich um. Mit der von uns eingesetzten Künstlichen Intelligenz machen wir diese Vorgänge layoutunabhängig, dreimal schneller und so einfach, dass jeder Mitarbeiter sie auch nutzt”, glaubt Myriam Erath. Denn genau darum geht es. An ihre Idee glaubt die 27-Jährige fest und damit ist sie nicht mehr allein. Die ersten Kunden sind gewonnen. Geholfen hat ihr dabei auch der Rückenwind der Stadt. Im Büro der Wirtschaftsförderung reicht manchmal ein Anruf, dann werden Kontakte hergestellt und Netzwerke geknüpft.

Das Emsland ist eben klein. Man kennt sich, man vertraut sich, man hilft sich. Das weiß die junge Frau inzwischen zu schätzen. Im Stammtisch der Jungen Ingenieure tauscht man sich beim Bier aus. Privat hat sie Kontakte über das Cheerleading geknüpft. Zweimal in der Woche trainiert sie beim TUS-Lingen in der Turn- und Akrobatikgruppe. Zum Wakeboarden fährt sie ein paar Kilometer an den Harener Dankernsee im nördlichen Emsland. Aus dem Studentenwohnheim ist Myriam mittlerweile ins schmucke Lingener Bögengebiet an den Kanal gezogen und wohnt hier “erfreulich günstig und ruhig”. Womöglich wird der derzeit geplante IT-Campus demnächst ihr neuer Firmensitz.

Beschaulich beschreibt sie ihr Leben in Lingen. Von wegen Kaffstadt: “Ich freue mich einfach, so eine stressfreie Umgebung um mich herum zu haben”, sagt die Unternehmerin, “mein Alltag ist aufregend genug.”