"Die meisten Kivelinge fallen auf dem Feld der Ehe." Johannes Kruse, Kivelingskönig und Vereinsmitglied seit 2006
Die Kivelinge: ein Verein mit Tradition

Wenn die Trommeln erklingen, sind Lingens Bürgersöhne nicht weit

„Pro civibus et civitate“ – „Für die Bürger und für die Stadt“: So lautet das Motto des wohl geschichtsträchtigsten Vereins in Lingen. Die Kivelinge, die dem 14.Jahrhundert entstammen, gehören unweigerlich zur emsländischen Stadt dazu. Früher galten die unverheirateten Bürgersöhne Lingens als Verteidiger der Stadt in den Kämpfen zwischen dem Grafen von Tecklenburg und dem Bischof von Münster. Ihr Name stammt wahrscheinlich aus mittelhochdeutschen ab und lautet übersetzt so viel wie „kleiner Kämpfer“.

Heute engagieren sich die Kivelinge in elf verschiedenen Sektionen vor allem ehrenamtlich zum Wohle der Gemeinschaft und für gute Zwecke. Von rauschenden Festen, welche Organisation hinter dem Verein und den Veranstaltungen steckt und wie man überhaupt ein „ehrenhafter Bürgersohn“ wird, berichten Kivelingskommandeur Nils Deymann und der aktuelle Kivelingskönig, Johannes Kruse.

„Wir wollen der Stadt und der Bevölkerung einen positiven Mehrwert geben und uns mit ihr identifizieren“, sagt Nils Deymann während er sich Fotos auf seinem Laptop von vergangenen Festen seiner Sektion „Freiherr von Danckelmann“ und des letzten Kivelingsfestes im Jahr 2017 anschaut. Bei einigen gerät er ins Schmunzeln, erinnert sich nur zu gerne an gute Gespräche, das eine oder andere schmackhafte Getränk mit Vereinskollegen und Freunden sowie an laue Sommernächte.

Feuer, Strohballen und Krüge – ein mittelalterliches Spektakel

Wenn die Kivelingstrommeln wieder erklingen und mehr als 300 Mitglieder samt ihren Marketenderinnen – den Begleitdamen der Lingener Bürgersöhne – wieder die Innenstadt erobern, dann folgen zahlreiche interessierte Besucher. Das „Mittelalterliche Spectaculum“, wie das Fest der Kivelinge offiziell genannt wird, ist eine der Veranstaltungen, die über mehrere Tage ein wahres Highlight in Lingen sind. Rustikale Stände mit deftigen Speisen, Bier und Honigwein aus Krügen, Feuerstellen, Auftritte zu mittelalterlicher Musik, Strohballen, auf denen man es sich bequem machen kann…

Wenn alle mit anpacken, entsteht ein wahres Fest

Dies alles aufzuzäumen bedarf einiges an Kraft und Organisation. Alle drei Jahre findet in Lingen das große Kivelingsfest statt, bei dem laut Kommandeur Deymann bis zu 1000 Freiwillige mit anpacken – das nächste an den Pfingsttagen 2020. Alles findet in Eigenregie statt. Stände werden mit viel Mühe selbst gebaut und nicht etwa, wie bei vergleichbaren Mittalterfesten, angemietet. Ehrenamtlicher Einsatz und dabei Spaß an der Sache haben, etwas Gutes zu tun und in einer Gemeinschaft zu sein: Das macht den Traditionsverein aus. Ohne die vielen Helfer ist dies laut Kruse aber nicht zu schaffen.

Bei den Kivelingen ist jeder gleich

Die Entlohnung für all das? „Wir wollen den Bezug von Verein und Stadt wahren. Vor allem ist es immer wieder schön zu sehen, dass Jung und Alt voneinander lernen. Oft kommt es vor, dass junge Mitglieder während einer der Kivelingsveranstaltungen plötzlich neben ihrem Berufsausbilder stehen“, erzählt er lächelnd, wohlwissend, welch spaßige Runden dabei schon entstanden sind. Mag das Verhältnis zwischen Mitgliedern außerhalb von Vereinsveranstaltungen auch ein anderes sein, ist bei den Kivelingen eine der Regeln jedoch unumstritten: „Wir sprechen uns alle mit einem Du an“, sagt Kruse. Egal ob Ehrenmitglied oder noch in der Feuertaufe: Kommunikation gebe es hier nur auf Augenhöhe.

Der Aufnahmeritus gehört dazu – einfach mal den Spaß mitmachen

Apropos Feuertaufe: Zwar steht der Kivelingsverein allen interessierten und – wohlbemerkt – unverheirateten Bürgersöhnen der Stadt Lingen ab einem Alter von 16 Jahren offen, eine kurze Anmeldung genügt jedoch nicht. Was wäre schließlich ein Traditionsverein ohne seine Traditionen? Und die gibt es eben auch zum Einstand in den jeweiligen Sektionen. „Irgendwann fängt man an, zu den Sektionstreffen zu gehen und schaut, welche der Gruppen am besten zu einem passt“, erklärt der Kivelingskönig. Er selbst ist Teil der Sektion „Fättmännkes Noahdriever“. Danach folge eine Art Hospitation über etwa drei bis sechs Monate, bevor dann von den anderen Kivelingen bei der Generalversammlung im Januar offiziell dem Beitritt zugestimmt wird. Alles war das aber nicht: „Jede Sektion hat ihre individuellen Rituale, das heißt, es muss eine Aufgabe erfüllt werden, um ein vollwertiges Sektionsmitglied zu werden“, fügt Kruse hinzu. Diese Aufgaben gehen meist damit einher, sich zu verkleiden, spontan etwas zu organisieren und natürlich einfach einen kleinen Spaß auf die eigenen Kosten mitzumachen.

Die Königskette: eine ganz schön schwere Last

„Austritt gilt laut Satzung nur bei Tod, Selbstaustritt, Ausschluss oder Heirat“, erläutert Deymann. „Die meisten Kivelinge fallen aber auf dem Feld der Ehe“, sagt der König, der sich mit 30 Jahren im heiratswilligen Alter befindet, so wie auch der Kommandeur mit 32 Jahren. „Schauen wir mal, wie lange wir noch mit dabei sind“, sagt Kruse verschmitzt.

2005 war er zum ersten Mal bei einem Kivelingsfest dabei, damals noch als Anwärter, ein Jahr später als Mitglied. Beim nächsten Festumzug, genauer gesagt bei der Krönung, hat er als König die Ehre, die Ketten aus den Wappen der dagewesenen Könige zu tragen. „Diesen Ketten wiegen zusammen ungefähr 20 Kilogramm“, informiert Deymann. Er war bereits 2005 ein „vollwärtiger“ Kiveling. Zehn Jahre später wurde er dann zum Kommandeur.

Mit einem höheren Amt steigt die Verantwortung

Doch was bedeutet es eigentlich ein Kiveling zu sein, insbesondere hinsichtlich der Freizeit? „Es ist einfach ein sehr großer Bestandteil meines Lebens“, meint Deymann. „Und es macht einfach riesig Spaß“, bestätigt Kruse. Doch wer sich dafür entscheidet, mehr als „nur ein normaler Kiveling“ zu sein, der bei Planungen und Veranstaltungen unterstützt, dem müsse auch bewusst sein: Ein zusätzliches Amt bedeutet, dem Verein und dem ehrenamtlichen Engagement mehr Freizeit zu widmen, nicht zuletzt bei Sitzungen und Aktionen, um Geld in die Kasse zu bringen.

Von nichts kommt nichts: Gläser spülen für den gemeinnützigen Zweck

Eine der Einnahmequellen des Vereins ist beispielsweise die Festschrift, die immer passend zum Kivelingsfest erscheint sowie natürlich die Mitgliedsbeiträge. „Und dann gibt es natürlich noch einige Aktionen, bei denen wir zum Beispiel als Kellner hinter der Theke stehen. Für das Spülen von Gläsern sollte sich bei uns keiner zu schade sein“, sagt Kruse. Von den Geldern werden unter anderem auch die Geschenke an die Stadt Lingen mitfinanziert, die immer passend zum Kivelingsfest überreicht werden. Denn auch das haben sich die unverheirateten Bürgersöhne zur Aufgabe gemacht: ihrer Heimat stets etwas zurückzugeben. Die Geschenkübergabe hat schon seit vielen Jahren einen enormen Symbolcharakter. Ihr und allen anderen Kivelingsveranstaltungen wohnt auch Dieter Krone als Oberbürgermeister der Stadt Lingen und als geborenes Ehrenmitglied der Kivelinge für seine Amtszeit bei.

Überreicht wurde beispielsweise im Jahr 2011 eine Skulptur für die „neuen Bürger“ der Stadt, am Lingener Standort der Hochschule Osnabrück oder auch ein Glockenspiel im Jahr 1952 für das historische Lingener Rathaus – eines der Wahrzeichen der Stadt. Genau 50 Jahre später folgte ein ergänzendes Figurenspiel, das täglich um 12, 15 und 18 Uhr erscheint.

Die Kivelinge handeln eben ganz im Sinne ihrer Stadt und ihrer Bürger - „Pro civibus et civitate“.

Mehr Informationen zu den Bürgersöhnen, ihrer Historie und dem Kivelingsfest gibt es unter www.kivelinge.de sowie bei Facebook und Instagram.