Jeannette Ricke ist gebürtige Sauerländerin. Als Managerin kam sie aus Bremen ins Emsland und wurde nicht nur Mutter, sondern auch Unternehmensgründerin.
Managerin gründet mit DeliverMii StartUp während Elternzeit

Wie eine Hochstuhl-Suche ein StartUp im Emsland ins Rollen brachte

Wenn eine Managerin während der Corona-Pandemie ins Emsland zieht und das erste Kind bekommt, ergibt das den Nährboden für ein StartUp. Jeannette Ricke hat in ihrer Elternzeit DeliverMii gegründet, eine Online-Plattform, die Mitfahrgelegenheiten für Gegenstände bietet.

Entstanden ist die Idee für DeliverMii gleich zu Beginn von Jeannette Rickes Elternzeit. Sie hatte einen Hochstuhl für ihren Sohn im Blick, den sie in gebrauchtem, gutem Zustand für einen günstigen Preis bei einer Internetbörse entdeckte. Einziger Haken: Der Stuhl stand zur Abholung in Berlin, Ricke wohnte in Lingen. Versand nicht vorgesehen. Nach einigem Hin und Her stand fest, dass sie den Stuhl vergessen konnte.

Dafür hatte Ricke am Ende zwei neue Dinge: Einen nagelneuen, teuren Kinderhochstuhl, und die Idee für eine Internetplattform, auf der Gegenstände eine Mitfahrgelegenheit finden.

Eigentlich ist die Idee für die gelernte Speditionskauffrau eine naheliegende, immerhin hat das Transportwesen lange die meiste Zeit ihres Tages eingenommen. Nach der Ausbildung hatte Jeannette Ricke sich mit Fleiß, Motivation und Einsatz nach oben gearbeitet und zuletzt - bevor sie der Liebe wegen nach Lingen zog - als stellvertretende Managerin Logistik bei DHL in Bremen gearbeitet. “Eine Zeitlang bin ich noch zwischen Bremen und Lingen gependelt. Aber dann kam nicht nur die Pandemie, sondern auch die frohe Nachricht, dass wir einen Sohn erwarten, sodass ich die letzte Zeit im Job auch von Lingen aus im Homeoffice arbeiten konnte.”

Drei Wochen nach der Geburt des ersten Kindes ist die Geburtsstunde von DeliverMii

Der Wechsel ins Emsland war in diesem Sinne ein leichter. Als sie ihren Mann, einen gebürtigen Emsländer, in Bremen kennenlernte, stand für ihn schon damals fest, dass er irgendwann zurück in die alte Heimat wollte. “Das Emsland ist wirklich wunderschön. Und es ist mit der Natur vor der Tür toll für Familien”, findet die gebürtige Sauerländerin. Da sie selbst über verschiedene Stationen nach Bremen kam, war sie offen für den Umzug. Mit der Geburt des gemeinsamen Sohnes stand dann ohnehin ein ganz neues Kapitel an.

Als drei Wochen nach der Geburt der Hochstuhl angeschafft werden sollte, hatte Ricke sich schon im neuen Alltag mit Kind eingefunden. “Mein Herz quoll über - aber mein Hirn hatte Durst”, stellte sie fest und sprach mit ihrem Mann über die Idee zu DeliverMii. “Mir fehlte einfach auch etwas, das ich für mich tue, das meinen Kopf über die Organisation von Haushalt und Kind hinaus beschäftigt. Ein Projekt, das sichtbare Arbeit schafft”, erklärt sie. Für ihren Mann war sofort klar, dass dies der richtige Weg für seine Frau war. Er sagte: “Auf jeden Fall. Mach das!” Also setzte sie sich hin und machte ihr eigenes Ding.

Starke Netzwerke für Neugründer im Emsland

Von der Idee bis zum Online-Auftritt dauerte es fast ein Jahr. Sie entwickelte das Konzept, setzte sich mit der Wirtschaftsförderung der Stadt Lingen in Verbindung, beantragte Fördergelder und Gründungszuschüsse. Da sie selbst keine Programmiererin ist, organisierte sie entsprechende Unterstützung mithilfe der it.emsland, einer IT-Dienstleistungsgesellschaft der Stadt Lingen und des Landkreises Emsland. 

“Die Netzwerke vor Ort sind sehr gut aufgebaut, die Wege sind kurz und man kommt schnell und zielführend miteinander in Kontakt”, fasst Ricke den Prozess zusammen. Seit dem 20.12.2022 ist DeliverMii online: Nutzer können sich registrieren und angeben, ob und wann sie eine Fahrt anbieten oder einen Gegenstand für die Mitfahrt registrieren. Die Plattform ist kostenlos und die Konditionen stimmen die Beteiligten unkompliziert untereinander ab.

Heute steht die 35-Jährige mit DeliverMii am nächsten großen Schritt: Die Basis ist da, aber die Plattform braucht mehr User, damit sie leben kann. “Marketing ist unheimlich teuer, Social Media ist überlaufen und die Plattform braucht Reichweite”, fasst Ricke zusammen. Außerdem möchte sie DeliverMii auch als App veröffentlichen. Also pitcht sie gerade um Investoren. Neben der Arbeit an DeliverMii hat sich Ricke zudem nach einer passenden Festanstellung umgesehen. “Für mich war die Selbständigkeit schon immer interessant, weil ich immer schon etwas für mich schaffen wollte”, erklärt sie, “aber mir fehlt ein Team, mit dem ich mich austausche. So weit ist DeliverMii noch nicht.”

Auf der Suche nach einer flexiblen Führungsposition

Als Unternehmerin und Mutter versuchte sie, Stellen zu finden, die Führungsebene und Teilzeit kombinierten, immerhin hatte Ricke auf Management-Ebene gearbeitet. “Und mit der Geburt habe ich ja nicht mein Gehirn abgegeben”, sagt sie scherzhaft und ernst zugleich, denn lange suchte sie ohne Ergebnis. “Das ist ein großes Problem: Wir haben einen Fachkräftemangel und wir haben gut ausgebildete, motivierte Frauen. Aber die Unternehmen scheuen sich immer noch, sie einzustellen, weil es ‘zu kompliziert’ werden könnte", schildert sie ihren Eindruck. “Außerdem bekommt man im Emsland noch ohne schwierige Bewerbungsverfahren einen Platz in der Kinderbetreuung!” Demnächst wird sie als Bereichsleiterin Personalentwicklung die Geschäftsleitung eines Autohauses für sechs Standorte im Bereich Personal unterstützen. “Ich habe wirklich Lust auf den Job, das Team und neue Herausforderungen!” Damit konnte sie überzeugen.

Private Kontakte entwickeln sich auf ungewohnten Wegen

Privat neue Kontakte zu finden, gelang auch aufgrund der Pandemie nicht von jetzt auf gleich. Der erste Kontakt in der neuen Nachbarschaft ergab sich durch das Gassi-Gehen mit dem Hund. Mit anderen Müttern kommt Ricke über ihren Sohn und die KiTa in Kontakt und hat inzwischen auch eine Mütter-Gruppe gefunden, die sich abends regelmäßig ohne Kinder trifft. “Trotzdem fehlt mir im Moment tatsächlich noch die Leichtigkeit, mit der ich in der Stadt neue Kontakte knüpfen konnte”, gibt sie zu. Langsam ergeben sich aber auch mehr Kontakte außerhalb des Mutter-Daseins, zum Beispiel durch Treffen und Unternehmerstammtische, die vom Wirtschaftsverband oder anderen Netzwerken organisiert werden.

“Das ‘Let’s Connect’-Treffen für Business-Ladys war toll, davon würde ich mir noch mehr wünschen, auch in kleineren Gruppen. Vielleicht als Stammtisch für StartUps aus der Region. Das gibt es so noch nicht.” Ob sie das organisieren würde? “Theoretisch ja, aber praktisch sitzt das momentan zeitlich nicht drin.” Viele Themen bespricht sie dann auch gern mit alten Freunden. “Wenn mich da die Sehnsucht übermannt, bin ich vom Emsland aus zum Glück schnell in Bremen, Münster oder dem Sauerland!” Aber dass da noch etwas kommt, sei keineswegs ausgeschlossen, schließlich hat das Emsland bei Ricke schon einmal den Raum für eine neue Idee geschaffen.